Kurzbericht vom 2. Frühlings-Fuseki Leipzig
Eindrücke von einem Turnier-Neuling
Es ist mein erstes Turnier und ich bin zu spät. Es ist schon viertel vor, als ich beim Kulturzentrum Villa e.V. in der Leipziger Innenstadt ankomme. Zum Glück bin ich nicht der Einzige, die Schlange vor der Anmeldung geht noch bis vor die Türe. 78 Spielerinnen und Spieler haben sich angemeldet – das größte Go-Turnier, das seit dem European Cup 2004 in Leipzig stattgefunden hat. Ich bin sehr aufgeregt.
Beim Anstehen treffe ich draußen János Nitschke (3d), den Gewinner des letzten Jahres. „Titelverteidigung dürfte schwierig werden“, sagt er lachend. Tatsächlich hat sich spielstarker Besuch angekündigt: Die Top-Gruppe besteht aus 14 Spielerinnen und Spielern von 6d bis 2d. Mich selbst tangiert das wenig, ich trete mein erstes Turnier als 7k an und freue mich über das breite Feld an Mitspielern in meiner Spielstärke.
In der charmant heruntergekommenen Villa sind für das Turnier gleich drei Räume gemietet. Im dritten Stock gibt es ein luxuriöses Einzelzimmer für das erste Brett, das dank dem Hebsacker Verlagund Tobias Berben ein elektronisches IZIS AI Board ist, das live übertragen wird und sich auf dem Server und via App mitverfolgen lässt. Im zweiten Stock gibt es einen Seminarraum für zehn weitere Bretter der Top-Gruppe und im Erdgeschoss schließlich noch einen großen Saal. Zwischen den vielen aufgestellten Tischen finden hier zur Eröffnungsrede kaum alle Platz.
Es ist das erste Mal, dass ich so viele Go-Spieler auf einem Haufen sehe. Ich habe im ersten Corona-Lockdown angefangen, intensiv zu spielen, bis vor Kurzem war Go eine Privat-Obsession für mich, die ausschließlich online stattfand. Erst vor einem halben Jahr habe ich den Weg zu einem Spiele-Abend gefunden, und heimlich bin ich immer noch überrascht über jeden, der auch Go spielt. Den meisten sieht man es gar nicht an! Das Publikum ist bunt gemischt, zwanzig Kinder unter 15 Jahren nehmen teil, viele Studenten, aber auch Senioren, chinesische Familien und diverse andere Nationalitäten. Einzige Auffälligkeit: Etwa ¾ der Teilnehmer sind männlich. Das ist mir bei den Spiele-Abenden schon aufgefallen und geht mir nicht so recht in den Kopf. Dass sich so viel mehr Männer als Frauen für Go begeistern sollen, kommt mir vor wie ein (historisch gewachsenes) Missverständnis.
Der Turnierorganisator René Scheibe bittet um Ruhe, dann steigt er kurzerhand auf einen Stuhl und hält eine euphorische Begrüßungsrede, in der er Leipzig als alte neue Go-Hochburg ausruft. Für dieses Jahr hat er schon in einer Hau-Ruck-Aktion den European Go Congress nach Markkleeberg/Leipzig geholt (22. Juli – 5. August, Anmeldung hier: www.egc2023.de) und hat auch ansonsten große Pläne für die Stadt: ein Go-Verein ist in Gründung, ein weiteres Turnier-Format in Planung. Aber eins nach dem anderen.
Erst einmal werden Andrii Kravets (1p) und Manja Marz (4d) von der Jena International Go School (JIGS) begrüßt, die das Turnier als Kooperationspartner mit ausrichtet. JIGS sponsort Gutscheine für die Preisträger, außerdem steht Andrii Kravets die ganzen zwei Tage über für Partiebesprechungen bereit und Manja Marz leitet das parallel stattfindende 9x9-Turnier für die unter 12-Jährigen, an dem dieses Jahr 10 Kinder teilnehmen. Gemeinsam haben die beiden schon am Vorabend ein gut besuchtes Seminar in der Billardkneipe BiBaBo gegeben, in der ein regelmäßiger Go-Spieleabend stattfindet. In entspannter Atmosphäre wurde erst zusammen gegessen, dann ging es dem Thema Endspiel zu Leibe, inklusive Übungsaufgaben für alle Spielstärken.
Die Turnier-Regeln werden verlesen, dann kann es losgehen: Gespielt werden 5 Runden im Mac-Mahon-System (3 Spiele am Samstag, 2 am Sonntag) mit 45 Minuten + 15 Sekunden Fischer-Zeit.
Der Ausdruck mit den ersten Paarungen wird an der Wand im großen Saal aufgehängt. Nach einem kurzen Tumult finden sich alle auf ihren Plätzen ein. Ich starte an Brett 24 im großen Saal und finde mich Angela (8 Kyu) aus Schwerin gegenüber, eine sehr sympathische Begegnung, die meine Aufregung sofort verfliegen lässt. Es ist das erste Mal, dass ich so lange Partien spiele und so viele am Stück. Ich gewinne solide, ich verliere haushoch, dann schmeiße ich frustriert eine Partie, nachdem ich eine große Gruppe verloren habe – leider verfrüht, wie mir Andrii Kravets später zeigen wird.
Der erste Tag vergeht wie im Rausch. Zwischen den Spielen geht es zum Auftanken an den Kiosk der Villa, in dem Peggy Scheibe und Martin Thaumiller ehrenamtlich und quasi zum Selbstkostenpreis das gesamte Turnier mit Kaffee, Snacks und Mittagsverpflegung versorgen. Die beiden strahlen eine dermaßen gute Laune aus, dass ich fast neidisch werde, dass ich mich zum Spielen und nicht als Helfer angemeldet habe – ich möchte glatt mit ihnen tauschen. Mittags gibt es allerlei leckere Salate und Momos, nepalesische Teigtaschen, die von vielen fälschlicherweise für Gyozas, also japanische Teigtaschen gehalten werden, die aber so oder so hervorragend schmecken.
Der Aufenthaltsraum der Villa platzt in den Pausen aus allen Nähten, oft ist es schwer, einen Sitzplatz zu ergattern. Zerstreuung bietet der Bücherstand des Hebsacker Verlags. In einem kleinen gemütlichen Erker, der an den Pausenraum anschließt, ist außerdem während des ganzen Turniers über Andrii Kravets anzutreffen, wie er dicht umringt von Menschen unermüdlich eine Partie nach der anderen bespricht. Wann immer ich Zeit und einen Platz finde, schaue ich zu. Ich bin sehr beeindruckt von der Klarheit seiner Analysen. Was erst kompliziert aussieht, fällt einem wie Schuppen von den Augen und wird plötzlich ganz einfach, logisch und klar – wäre man da nur mal selbst draufgekommen.
Abends wird trotz Nieselregen noch gegrillt, das ein oder andere Bier getrunken und – man glaubt es kaum – bis spät in die Nacht Go gespielt. Laut Erzählungen verlassen Andrii Kravets und René Scheibe das Gebäude gegen 1 Uhr. Ich ziehe den Hut vor dieser Ausdauer und radle nach Hause. Vor dem Einschlafen sehe ich Nachbilder endlosen Schnittvariationen vor meinen Augen flimmern.
Am zweiten Tag gibt es Frühstück in der Villa, dann gehen die Spiele weiter. Ich habe schlecht geschlafen und halte mich mit Kaffee über Wasser. Wie zur ausgleichenden Gerechtigkeit bin es bei der ersten Partie des Tages dieses Mal ich, der durch Aufgabe gewinnt, nachdem er eine Gruppe töten konnte. Die letzte Partie des Turniers verliere ich dann wieder, wenn auch knapp. Persönliche Turnierbilanz: 2 Siege, 3 Niederlagen, mein OGS-Ranking von 7k wurde bestätigt. Einen der Preise gewinne ich damit nicht, aber ich bin zufrieden und habe definitiv Blut nach weiteren Turnieren geleckt.
Zur Siegerehrung kommen noch einmal alle im großen Saal zusammen.
Die Gewinner
- Platz: Chang Liu (4d), Preisgeld: 150 Euro & Pokal
- Platz: Manja Marz (4d), Preisgeld: 100 Euro
- Platz: Benjamin Teuber (6d), Preisgeld: 50 Euro
Sonderpreise (alle bekamen JIGS-Voucher)
· 5-Siege: Paul Glaß
· 4 Siege: Marco Henkel, Alexander Kube, Lariassa Marz, Konstantin Müller, Malou Kleinle
· Beste Dame: Mariia Chernova
· Single Digit Kyu: Daniel Müller
· Double Digit Kyu: Bret Beheim
· U16: Yuze Xing
· Ü50: Rüdiger Stoll
· Turnier-Neuling: Martin Böhm
· Trost-Preise für die 4 Spieler mit sehr wenig Glück
U12 9x9-Turnier (Jeder Teilnehmer erhielt kleine Preise)
- Platz: Oliver Mazanek
- Meisten gespielte Partien, Corvin Thebeau
René Scheibe dankt:
Andrii Kravets, Manja Marz und JIGS für das Seminar und die Unterstützung; seiner Frau Peggy, dem Koch Martin Thaumiller, dem Grillmeister Daniel Bauer und Peter Gerbach für das Catering; allen “kleinen” Helfern während und nach dem Turnier; Tobias Berben für den Bücherstand und die Bereitstellung des IZIS Ai Boards; der Villa für die Räumlichkeiten; und natürlich dem Landesverband BST für die Unterstützung des Turniers und die Bereitstellung des Spielmaterials.